Interview

Expertenmeinungen zu den Hypertonie-Leitlinien: ESC¹ vs. ESH²

22. September 2025

Ein gemeinsames Interview mit Prof. Konstantinos Tsioufis (Universität Athen, Hippocratio Krankenhaus, Griechenland) und Prof. Sofie Brouwers (OLV Ziekenhuis Aalst, Belgien)

Interviewer: Dr. Giorgio Gobbi, Senior Director Scientific Affairs Recor Medical EMEA

1. Wie sehen Sie die Umsetzung der aktualisierten Hypertonie-Leitlinien in der klinischen Praxis?

Prof. Tsioufis (ESH):
Die ESH-Leitlinien wurden in Europa und darüber hinaus gut aufgenommen, insbesondere wegen ihrer Therapiegrenzen und Zielwerte. Die Hochstufung der renalen Denervation von Klasse III auf Klasse II war ein bedeutender Fortschritt und hat das Vertrauen unter Fachleuten gestärkt. Dennoch ist die Umsetzung bislang hauptsächlich auf spezialisierte Zentren beschränkt – bedingt durch Erstattungsprobleme und fehlende strukturierte Überweisungswege aus der Primärversorgung.

Prof. Brouwers (ESC):
Die ESC-Leitlinien haben dazu beigetragen, RDN als eine der drei Säulen der Hypertonie-Behandlung zu etablieren – neben Lebensstiländerungen und medikamentöser Therapie. Einige Ärzte setzten RDN bereits in Studien und Registern ein, doch die aktualisierten Leitlinien haben die Akzeptanz weiter gefördert, insbesondere in nationalen Fachgesellschaften und medizinischen Gemeinschaften. Teile der Fachwelt waren bereits von RDN überzeugt, andere warteten auf eine formelle Empfehlung. Die neuen Leitlinien haben dort Türen geöffnet, wo zuvor Skepsis herrschte.


2. Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den ESH- und ESC-Leitlinien, insbesondere im Hinblick auf RDN?

Prof. Tsioufis:
Beide Leitlinien empfehlen ähnliche Medikamente, Ein-Pillen-Kombinationen und Blutdruckmessungen außerhalb der Praxis. Der Hauptunterschied liegt darin, dass ESC Hypertonie als Teil des kardiovaskulären Gesamtrisikos betrachtet, während ESH sie als eigenständige Erkrankung behandelt. Beide befürworten RDN für ausgewählte Patienten und betonen die gemeinsame Entscheidungsfindung.

Prof. Brouwers:
Die Leitlinien sind sich sehr ähnlich, insbesondere in ihren Therapieempfehlungen. ESC legt mehr Wert auf das erhöhte kardiovaskuläre Risiko bei der Entscheidung für RDN, während ESH diesen Aspekt weniger stark hervorhebt. Beide betonen die Bedeutung des Gesprächs mit dem Patienten vor einer RDN.


3. Wie sollten Fachleute diese Leitlinien praktisch anwenden?

Prof. Tsioufis:
Zur Diagnose sollten Blutdruckmessungen in der Praxis, zu Hause oder ambulant verwendet werden. Die Behandlung sollte mit Ein-Pillen-Kombinationen beginnen, und RDN sollte bei Patienten mit unkontrollierter oder resistenter Hypertonie in Betracht gezogen werden.

Prof. Brouwers:
Zunächst sollten Lebensstiländerungen erfolgen, gefolgt von einer Dreifachkombinationstherapie. Wenn die Zielwerte nicht erreicht werden oder Medikamente nicht vertragen werden, sollte RDN frühzeitig besprochen werden. Es handelt sich um einen einmaligen Eingriff mit minimalen Nebenwirkungen und sollte als Alternative zur weiteren Eskalation der medikamentösen Therapie betrachtet werden.


4. Sind Sie mit der Umsetzung der Leitlinien in Europa zufrieden? Gibt es Verbesserungsbedarf?

Prof. Tsioufis:
Nein, die hohe Rate unkontrollierter Hypertonie deutet auf eine schlechte Umsetzung hin. Wir brauchen bessere Patientenaufklärung, Engagement und strukturierte Versorgungswege.

Prof. Brouwers:
Die Umsetzung ist sehr unterschiedlich. Es besteht eindeutig Verbesserungsbedarf, insbesondere bei der Einbindung von Hausärzten und der breiten Kenntnis dieser Therapieoption.


5. Was sind die Hindernisse für eine breitere Anwendung von RDN und wie können sie überwunden werden?

Prof. Tsioufis:
Hindernisse sind begrenzter Zugang, Erstattungsprobleme und fehlende Überweisungswege. Die blutdrucksenkende Wirkung von RDN ist zwar moderat, aber klinisch relevant. Wir brauchen eine strukturierte Zusammenarbeit zwischen Hausärzten, Kardiologen und Nephrologen zur gezielten Überweisung geeigneter Patienten.

Prof. Brouwers:
Das Erbe der HTN-3-Studie hat Skepsis hinterlassen. Obwohl neue Geräte und Daten das Interesse wiederbelebt haben, sind einige Länder weiterhin zurückhaltend. Mehr Bewusstsein bei Ärzten und Patienten ist entscheidend, um diese Hürden zu überwinden.


6. Nimmt die Patientenpräferenz für RDN gegenüber einer Eskalation der medikamentösen Therapie zu?

Prof. Tsioufis:
Ja. Die Medizin entwickelt sich hin zu einer patientenzentrierten Versorgung. Informierte Patienten bevorzugen zunehmend Eingriffe wie RDN gegenüber einer weiteren Eskalation der medikamentösen Therapie.

Prof. Brouwers:
Absolut. Wenn Medikamente nicht wirken oder schlecht vertragen werden, interessieren sich Patienten für Alternativen wie RDN – insbesondere in spezialisierten Einrichtungen, wo das Verfahren gut verstanden wird.

7. Wie sehen Sie die Zukunft der RDN-Anwendung?

Prof. Tsioufis:
Kurzfristig wird RDN weiterhin in spezialisierten Zentren durchgeführt. Mit mehr Real-World-Daten könnte sie jedoch breiter und früher im Krankheitsverlauf angeboten werden. Auch bei Erkrankungen wie Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz und Schlafapnoe könnte RDN von Nutzen sein.

Prof. Brouwers:
Das Bewusstsein muss sowohl bei Patienten als auch bei Ärzten wachsen. RDN sollte in erfahrenen Zentren durchgeführt werden, aber jeder behandelnde Arzt sollte sie in Betracht ziehen und mit dem Patienten besprechen. Überweisungswege müssen effizienter gestaltet werden.

Quellen:

1European Heart Journal, ehae178, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehae178
2Mancia et al. Journal of Hypertension 2023, 41:1874-2017

Hinweis: Die in diesem Material genannten Ärzte sind bezahlte Berater von Recor Medical und wurden für ihre Zeit und Expertise im Rahmen ihrer Mitwirkung an den Inhalten vergütet. Die in diesem Material geäußerten Ansichten stammen von den jeweiligen Ärzten.